Mittelalterliche Glasmalerei aus dem Khanenko Museum in Kyjiw
Licht in dunklen Zeiten Mittelalterliche Glasmalerei aus dem Khanenko Museum in Kyjiw
Herausgegeben von Manuela Beer und Carola Hagnau Mittelalterliche Glasmalerei aus dem Khanenko Museum in Kyjiw
Kooperationsmuseum: Für großzügige Unterstützung danken wir: Vorwort und Dank Glasfenster in der Sammlung des Bohdan und Varvara Khanenko Nationalmuseum der Künste Kontext, Geschichte, Geheimnisse Die Glasgemäldesammlung des Museum Schnütgen Voraussetzungen und Genese eines besonderen Sammlungsbestandes Katalog 9 13 23 35 Yuliya Vaganova, Martin Hoernes und Moritz Woelk Anastasia Matselo und Hanna Rudyk Manuela Beer Literaturverzeichnis Bildnachweise Impressum 96 103 104
„Licht in dunklen Zeiten“ ist der Titel dieser Ausstellung, der kaum passender sein könnte. Trauriger Anlass ist der am 24. Februar 2022 begonnene russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Bereits im ersten Kriegsjahr erfolgte ein schwerer Angriff auf die ukrainische Hauptstadt Kyjiw, bei dem neben Universitäts- und Wohngebäuden auch acht Museen beschädigt wurden, darunter auch das Khanenko Museum im Herzen der Kyjiwer Innenstadt. Die kurze Sequenz einer Überwachungskamera, die in der Ausstellung zu sehen ist, zeigt eindringlich, welche Auswirkungen der Raketeneinschlag am 10. Oktober 2022 unmittelbar neben dem Museum hatte. Trotz schneller Notsicherungen blieb die Sorge um die hochkarätige Glasmalereisammlung, die durch Erschütterungen stets besonders gefährdet ist, bestehen. Dass die empfindlichen Kunstwerke im Dezember 2024 sicher in Köln eintrafen und nun in einer Glasmalerei-Ausstellung zusammen mit Werken aus dem Museum Schnütgen zu sehen sind, ist das schöne Ergebnis einer deutsch-ukrainischen Museumskooperation, die auf Initiative der UKRAINE-Förderlinie der Ernst von Siemens Kunststiftung und der HERMANN REEMTSMA STIFTUNG zusammen mit der Glasmalereiforschungsstelle Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland zustande gekommen ist. Dass die Kunst in ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen gerade in Zeiten des Krieges weiterlebt, sich entwickelt und für die Menschen in der Ukraine als zentraler Teil ihrer eigenen kulturellen Identität sichtbar und erlebbar ist, haben sich die Kulturschaffenden, die Verantwortlichen in den Museen und anderen Kulturinstitutionen sowie die Künstlerinnen und Künstler in der Ukraine zur Aufgabe gemacht. Es ist eine schwierige Vorwort und Dank 9
Neben großzügiger finanzieller Förderung wird dieses Kooperationsprojekt durch den bemerkenswerten, solidarischen Einsatz vieler Fachkolleginnen und -kollegen getragen. Außergewöhnliche Unterstützung erfuhren wir durch die internationale Forschungseinrichtung für mittelalterliche Glasmalerei, das Corpus Vitrearum Deutschland, in der Trägerschaft der Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz: Dr. Elena Kosina und Dr. Ivo Rauch reisten nach Kyjiw, um die Glasmalereien zu sichern und zu verpacken, bevor sie nach Köln transportiert wurden. Ohne zu zögern boten der Kölner Dombaumeister Dr. Peter Füssenich und die Leiterin der Glasrestaurierungswerkstatt der Kölner Dombauhütte Dr. Katrin Wittstadt ihre Hilfe bei konservierenden Maßnahmen an den Kyjiwer Scheiben im Vorfeld Ausstellung und bei der wissenschaftlichen Untersuchung und Restaurierung nach Ende der Schau an. In den sehr herzlichen Dank an die Kooperationspartnerinnen und -partner möchten wir auch all diejenigen miteinschließen, die zur Realisierung der Ausstellung und der digitalen Begleitpublikation beigetragen haben. Nicole Miller übernahm die Ausstellungsgestaltung, Manu Lange die Werbe- und Ausstellungsgrafik und Magnus Neumeyer die Gestaltung der Publikation, für die Marion Mennicken vom Rheinischen Bildarchiv zahlreiche Neuaufnahmen anfertigte. Wesentlich zum Gelingen von Ausstellung und Buch haben die Übersetzungen von Gérard Goodrow und KERN AG Sprachendienste beigetragen. Nicht zuletzt gilt unser persönlicher und sehr herzlicher Dank den Kuratorinnen des Museum Schnütgen, Dr. Manuela Beer und Dr. Carola Hagnau, die sich mit großer Professionalität und Empathie dieses besonderen Projekts angenommen haben. In kollegialer und freundschaftlicher Zusammenarbeit mit den beiden verantwortlichen Kolleginnen in Kyjiw, den Kuratorinnen Anastasia Matselo und Olena Kramareva, kann nur ein Jahr nach der ersten Kontaktaufnahme der beiden Museen die Glasgemäldeausstellung eröffnet werden. Ihnen beiden gilt ebenfalls unser großer Dank, in den wir all die vielen weiteren Kolleginnen und Kollegen in beiden Museen einschließen, die ihr Wissen und Können mit großem Engagement in dieses gemeinsame Projekt eingebracht haben. Unsere höchste Anerkennung gilt dem mutigen Khanenko-Team, das in diesen schwierigen Zeiten alles nur Erdenkliche für sein Museum tut. Wenn sich zwei Glasmalerei-Sammlungen unter diesen Umständen begegnen, geht es um Licht und Zerbrechlichkeit: Die Zerbrechlichkeit des Objekts, des Menschen und der Welt. Und das Licht der Hoffnung. Dr. Yuliya Vaganova Direktorin Khanenko Museum Dr. Martin Hoernes Generalsekretär Ernst von Siemens Kunststiftung Dr. Moritz Woelk Direktor Museum Schnütgen Mission, insbesondere angesichts der seit Beginn der russischen Invasion zunehmend sich dramatischer gestaltenden weltpolitischen Lage. Mit schier unglaublicher Energie und Hoffnung auf baldigen Frieden kämpfen die ukrainischen Museumskolleginnen und -kollegen für ihre Sammlungen und die ihnen anvertrauten Kunstwerke. Es geht ihnen nicht allein darum, bedrohte Kunstwerke vor ihrer Zerstörung zu retten, sondern um die Bewahrung ihrer eigenen, ukrainischen Identität. Im Khanenko Museum, das in den vergangenen rund 100 Jahren seines Bestehens schon vielfach die negativen Auswirkungen politischer Umwälzungen und kriegerischer Auseinandersetzungen erfahren musste, setzt das Museumsteam alles daran, dass das Leben im Museum auch während des Krieges weitergeht: Kleine, z.T. nur eintägige Ausstellungen aus den eigenen Beständen zur ukrainischen und internationalen Kunst des 19. bis 21. Jahrhunderts, Interventionen zeitgenössischer Künstler sowie Konzerte, Lesungen und auch Führungen durch das leer geräumte Museum gehören mit dazu. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler setzen zeitgleich ihre Forschungsarbeiten fort und kümmern sich um die Digitalisierung ihrer Bestände. Zu den wichtigen Aktivitäten des Khanenko Museums gehören derzeit internationale Projekte, die der Ausstellung, Erforschung und Restaurierung von Werken aus der Museumssammlung dienen. So wurde u.a. im Jahr 2023 im Pariser Louvre eine Auswahl aus dem seltenen Bestand an byzantinischen Ikonen aus dem Khanenko Museum präsentiert. Mit der aktuellen Kölner Ausstellung setzt sich diese Aktivität fort und macht die Khanenko Sammlung in Europa weiter bekannt und sichtbar. Erstmals seit vielen Jahrzehnten werden die kostbaren Glasmalereien aus Kyjiw gemeinsam präsentiert, sie wurden wissenschaftlich erforscht und sollen im Anschluss die Ausstellung in Köln konserviert und restauriert werden. Dass dies alles in Zeiten des Krieges möglich ist und bleibt, ist eines der Hauptanliegen der Ernst von Siemens Kunststiftung und der HERMANN REEMTSMA STIFTUNG mit ihrer gemeinsamen Ukraine-Förderlinie, die bereits wenige Tage nach Beginn des russischen Angriffskriegs am 8. März 2022 ins Leben gerufen wurde. Den ukrainischen Museen und Kultureinrichtungen soll durch schnelle und unbürokratische Hilfe Sicherheit und Stabilität gebracht werden, beispielsweise durch die Unterstützung deutscher Museen bei der Beschäftigung geflüchteter ukrainischer Wissenschaftler*innen. Die enge Kooperation zwischen dem Khanenko Museum und dem Museum Schnütgen gehört dazu: Nicht nur eine kostbare Glasgemäldesammlung wird so gesichert, sie wird gemeinsam von deutschen und ukrainischen Kolleg*innen erforscht, öffentlich erfahrbar und damit ein Teil der kulturellen Identität der Ukraine bewahrt. Damit ist es auch eines der Vorzeigeprojekte der UKRAINE-Förderlinie. Ohne die Beteiligung weiterer Fördernder wäre das Projekt nicht in der geplanten Form umsetzbar gewesen. Wir danken deshalb ganz besonders der Peter und Irene Ludwig Stiftung und ihrer Vorständin, Dr. Carla Cugini, für die vertrauensvolle Unterstützung. Neben Mitteln der Stadt Köln hat das Museum Schnütgen auch dieses Mal wieder große Unterstützung durch seinen Freundeskreis erfahren. Stellvertretend für alle Mitglieder des Freundeskreises danken wir seinem Vorsitzenden Dr. Cornel Soltek. 11 10
Das Bohdan und Varvara Khanenko Nationalmuseum der Künste, das sich in zwei benachbarten historischen Gebäuden im Zentrum von Kyjiw befindet, ist nach dem Kunstsammler- und Mäzenenehepaar benannt. Das Museum, eine ehemalige Stadtvilla mit einer an einen venezianischen Palazzo erinnernden Fassade, war einst der Wohnsitz der Familie Khanenko und beherbergt deren Sammlung. Das ehemalige Mietshaus von Varvara‘s Schwester, Efrosynia Sakhnovska, wurde 1986 dem Museum übergeben. (Abb. 1) Das Museum als Institution, gegründet aufgrund eines sowjetischen Dekrets vom 23. Juni 1919, besteht seit über einem Jahrhundert, allerdings weist dessen Kunstsammlung eine weitaus längere Geschichte auf. Den Grundstock bildet die Privatsammlung von Bohdan und Varvara Khanenko. Bohdan Iwanowytsch Khanenko (1849–1917), der aus einer adligen Kosakenfamilie stammte, war ausgebildeter Jurist und übte leitende Funktionen in unterschiedlichen Bereichen aus (Abb. 2) Varvara Nikoliwna (1852–1922) gehörte der Kaufmannsfamilie Tereschtschenko an, aus der u.a. Industrielle, Kunstsammler und Philanthropen hervorgegangen sind (Abb. 3) Bohdan und Varvara heirateten 1874, es war die klassische Verbindung zwischen „altem Adel“ und „neuem Geld“. Dieses Jahr gilt auch als Beginn der Khanenko-Sammlung. Das Sammeln von Kunstgegenständen unterschiedlicher Art wurde zur gemeinsamen Lebensaufgabe des Ehepaars. Beide interessierten sich sowohl für europäische als auch für asiatische Kunst, sammelten moderne und antike Bücher. Bereits während seiner Hochzeitsreise 1874 erwarb das Ehepaar in Rom und Florenz erste Werke italienischer Malerei und Skulpturen. Der asiatische Teil der Sammlung Anastasia Matselo und Hanna Rudyk Glasfenster in der Sammlung des Bohdan und Varvara Khanenko Nationalmuseum der Künste Kontext, Geschichte, Geheimnisse Abb. 1 Bohdan und Varvara Khanenko Nationalmuseum der Künste, Kyjiw, Vulytsya Tereschtschenkiwska 15–17, Foto 2024 13
tike präsentiert. (Abb. 4, 5) Dieses Prinzip entspricht der europäischen Mode jener Zeit und der damaligen Vorstellung vom Erscheinungsbild des Wohnraums gebildeter und kunstverständiger Menschen. Im Jahre 1919 wurde das Eigentum des Ehepaares Khanenko verstaatlicht, das Gebäude zum Stadtmuseum erklärt, obwohl die Eigentümer schon früher die Absicht geäußert hatten, ihre private Sammlung zusammen mit der Villa und der Bibliothek der Öffentlichkeit zugänglich zu machen (Bohdan Iwanowytsch 1917 in seinem Testament, Varvara Nikoliwna 1918 mit einer Schenkungsurkunde). Seit der offiziellen Gründung des Museums war die Sammlung einerseits gewachsen, andererseits gab es auch Verluste. So erhielt das Museum während der Sowjetzeit (1921–1991) Werke aus anderen Museen und verstaatlichten Sammlungen sowie von Privatpersonen. Die Verluste jedoch überwogen. Viele Stücke gingen verloren – durch begann mit dem Erwerb einer großen bemalten persischen Vase in Warschau im Jahre 1876. Danach folgten Reisen nach Paris, Wien, Berlin, Venedig, Madrid, Kairo... Über einen Zeitraum von fast 45 Jahren hinweg bauten Bohdan und Varvara Khanenko eine Kunstsammlung mit etwa 6000 Objekten auf, die von archäologischen Artefakten des Alten Ägyptens bis zu europäischen Gemälden, Grafiken, Skulpturen und dekorativer Kunst reicht. Darüber hinaus enthält die Liste der Objekte eine Reihe von Werken der islamischen Kunst, insbesondere aus dem mittelalterlichen Iran, sowie chinesische Schriftrollen, Skulpturen und Porzellan, japanische Kunstdrucke, Tsuba (Schwertstichblätter) und Keramiken. Die Sammlung beinhaltet auch buddhistische und hinduistische Kunstgegenstände. Der Buchbestand umfasst etwa 10.000 Bände. In den späten 1880er Jahren ließen sich Bohdan und Varvara Khanenko zusammen mit ihrer Sammlung in Kyjiw nieder, in einer Stadtvilla, die Varvara gehörte. Das in den Jahren 1887-1888 errichtete und in den 1890er Jahren dekorativ ausgestattete Gebäude weist heute zahlreiche Relikte seines ursprünglichen Zustands auf, sowohl was die Außenfassade als auch was die Innenarchitektur betrifft. Zu Lebzeiten des Ehepaares führten Werke aus höchst unterschiedlichen Epochen und Ländern in den Räumen der Villa ein harmonisches Mit- und Nebeneinander. So wurden asiatische Kunstobjekte neben Meisterwerken aus Westeuropa, Byzanz, dem alten Russland und der klassischen AnAbb. 2 Bohdan Iwanowytsch Khanenko (1849– 1917). Foto Anfang 20. Jh. Abb. 3 Varvara Nikoliwna Khanenko (1852–1922). Foto eines Porträts von Alexei Kharlamov (1840–1925), das im Zweiten Weltkrieg verloren ging. Abb. 4 Großes Treppenhaus in der Khanenko-Villa. Foto vor 1919 15 14
bildet. Eines der spektakulärsten und geheimnisvollsten Elemente dieses Komplexes sind die Buntglasfenster, die die Prunksäle der Villa schmücken und gleichzeitig Teil der Khanenko-Sammlung sind, und über deren Geschichte nur sehr wenig bekannt ist. Die Glasmalerei kann in zwei Gruppen unterteilt werden. Die erste Gruppe bilden Glasscheiben aus dem 13. bis 18. Jahrhundert, die als einzelne Kunstobjekte erworben wurden. Heute befinden sich zwölf dieser Glasmalereien in der Sammlung. Es handelt sich somit um die größte Museumssammlung derartiger Artefakte in der Ukraine. Die zweite Gruppe umfasst die mehrfarbigen Glasdekorationen mehrerer Türen und Fenster in der Villa. Von dem Ehepaar in Auftrag gegeben, sind sie wichtige Dekorationselemente ihrer Wohnräume. Glasmalereien aus dem 13. bis 18. Jahrhundert schmücken die Fenster des großen „Italienischen Saals“. Dieser befindet sich im vorderen Teil des Gebäudes, seine Ausstattung ist im Stil der Neugotik gestaltet. Zu Lebzeiten des Ehepaares waren drei der Umverteilung von Objekten in verschiedene Museen der UdSSR in den 1920er Jahren, durch Raubzüge sowjetischer Behörden in den 1930er Jahren mit dem Ziel, Museumsschätze ins Ausland zu verkaufen, durch Überführung ins Ausland auf Geheiß des deutschen Kommandos während des Zweiten Weltkriegs. Allein über 400 Gemälde und noch weit mehr archäologische Artefakte und Gegenstände der dekorativen Kunst gelten als verschollen. (Abb. 6) Während der Besatzung durch die Nationalsozialisten hatte besonders die asiatische Sammlung gelitten. Neben den Kunstwerken wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch Dokumente zur Geschichte der Familie und ihres Besitzes beschlagnahmt oder zerstört. Daher ist die Rekonstruktion des vollständigen Bestandes der Khanenko-Sammlung und ihre Rückführung in die Heimat eines der drängendsten Probleme. Die Besonderheit des Khanenko Museums besteht darin, dass das Gebäude zusammen mit den darin befindlichen Kunstwerken ein einheitliches künstlerisches Ensemble Abb. 6 Die Museumssäle im Jahr 1943 Abb. 5 Islamische Kunst in dem „Italienischen Saal“ im Wohnhaus der Khanenkos, um 1910 1 Durch den Zweiten Weltkrieg verloren gegangen. 2 Ханенко 2008. 17 16
fünf Fenster mit Glasmalereien verziert. Das erste Fenster wurde von der großen Glasmalerei mit dem „Pfingstwunder“ (Inv. Nr. 301 БР МХ, Kat. Nr. 19) beherrscht, das zweite Fenster enthielt fünf kleine Scheiben mit Wappen- und Heiligenbildern. Das kleine Seitenfenster war mit einer italienischen Glasmalerei aus dem 14. Jahrhundert versehen, die den Erzengel Gabriel darstellt . (Abb. 7)1 1919 waren nur zwei Fassadenfenster mit Glasmalereien ausgestattet, aber 1923 alle vier. Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Glasmalereien demontiert. Seitdem sind sie nie wieder gemeinsam ausgestellt worden. Eine Reihe von Glasscheiben im „Delfter Speisesaal“ stellen ein beeindruckendes Beispiel für die ornamentale Glasmalerei Ende des 19.bis Anfang des 20. Jahrhunderts dar. (Abb. 8) Das Ornament besteht aus farbigem Glas in verschiedenen geometrischen Formen, das die gesamte Fensterfläche einnimmt und an den Rändern gebogene Fragmente (Rondelle) aufweist. Im Kontext der Architektur- und Kunstgeschichte der Ukraine ist dieses Ensemble ein eindrucksvolles Beispiel für die europäische Glasmalerei des Jugendstils. Es wurde inzwischen ausgebaut und wartet auf weitere wissenschaftliche Untersuchungen. Neben ihrer Sammeltätigkeit widmeten sich Bohdan und Varvara Khanenko auch dem Studium der erworbenen Kunstwerke. In Absprache mit zahlreichen Forschern bereiteten sie die Daten wissenschaftlich auf. So veröffentlichten die Khanenkos in den Jahren 1896, 1899, 1911–1913 Kataloge mit Gemälden, in den Jahren 1899–1907 AlbenKataloge mit archäologischen Denkmälern und Kirchenantiquitäten. Bohdan Khanenko hinterließ schriftliche Erinnerungen an die Geschichte der Kunstsammlung, die er zusammen mit seiner Ehefrau Varvara aufgebaut hat. Sein Manuskript liefert wertvolle Informationen für die Forschung und wurde 2009 unter dem Titel „Erinnerungen eines Kunstsammlers“ (Спогади колекціонера) veröffentlicht.2 In den Memoiren von Bohdan Khanenko, die hauptsächlich dem Erwerb von Gemälden und Skulpturen gewidmet sind, findet sich jedoch kein einziges Wort über den Erwerb von Glasmalereien. Stattdessen werden im Archiv des Museums drei weitere Dokumente aufbewahrt, die einige bruchstückhafte Informationen über die Entstehung und das erste Verzeichnis dieses Teils der Sammlung enthalten. Eines der Dokumente sind Bohdan Iwanowitschs handschriftliche Notizen, in denen der Wert und für einige Gegenstände auch die Herkunft angegeben sind. In der Rubrik „Glas“ sind zwölf Objekte zusammengefasst: Zehn davon sind als „Glasscheiben“ und zwei als „Glasmalerei“ (églomisé) vermerkt. Das Dokument enthält keine vollständige Bestandsaufnahme, sondern eher eine kurze persönliche Zusammenfassung. Daher erweist es sich als recht schwierig, die dort erwähnten Objekte mit den tatsächlich existierenden zu vergleichen. Wahrscheinlich beziehen sich Nr. 6 „Fensterscheibe, Schweiz, 16. Jh., sakrale Szene; 2000“ auf das Glasgemälde mit dem „Pfingstwunder“ (Inv. Nr. 301 БР МХ, Kat. Nr. 19) und Nr. 2–3 «Fensterscheiben, deutsche Meister des 14. Jahrhunderts, mit Darstellung sakraler Szenen; 300“ auf die Glasmalereien „Christus erscheint Maria Magdalena“ und „Christus am Ölberg“ (Inv. Nr. 137, 138; Kat. Nr. 4). Nur für einen Gegenstand, ein GlasAbb. 8 Das „Delfter Speisezimmer“, Foto vor 2022 Abb. 7 Der „Italienische Saal“, Foto vor 1919 19 18
fenster mit der Darstellung des Erzengels Gabriel, wird die Herkunft angegeben: „Pirri“, Kat. Nr. 426. Dieser Eintrag kann als Hinweis auf die Versteigerung der Sammlung Filippo Pirri in Rom im Jahr 1889 interpretiert werden. Die Abbildung und die Beschreibung des Kunstobjektes, das unter der Nummer 426 im Pirri-Katalog veröffentlicht ist, bestätigen diese Annahme zweifelsfrei. Das zweite Dokument ist eine Katalogbeschreibung der Objekte der KhanenkoSammlung aus dem Jahr 1919, die noch zu Lebzeiten von Varvara Nikoliwna und wahrscheinlich in Absprache mit ihr von den ersten Mitarbeitern des neu gegründeten Museums erstellt wurde. In diesen Beschreibungen werden lediglich sechs Glasscheiben erwähnt: Das „Pfingstwunder“ und fünf kleine Objekte mit Wappen und Heiligenbildern. Auf der Seite mit der Beschreibung des „Pfingstwunders“ heißt es in der Spalte „Ursprung“: „Sammlung Tolin“. Das heißt, dieses Glasfenster wurde 1897 bei einer Versteigerung der Sammlung von Adolphe Tollin in Paris erworben, was die detaillierte Beschreibung des Objekts unter der Nummer 76 im Auktionskatalog bestätigt. Bedauerlicherweise ist dies die einzige schriftliche Information, die heute über die Herkunft der Glasscheiben in der Khanenko-Sammlung vorliegt. Die einzige Vermutung, die in diesem Zusammenhang angenommen werden kann, betrifft die Glasgemälde „Christus erscheint Maria Magdalena“ und „Christus am Ölberg“. Die Forschungsergebnisse bestätigen, dass diese beiden Tafeln Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden sind und aus der Kirche Maria Strassengel in der Nähe der Stadt Graz in Österreich stammen. Im Jahr 1885 wurde diese Kirche restauriert, wodurch einige der Glasscheiben in Privatsammlungen gelangten – nicht über Versteigerungen, sondern zumeist unter der Hand gekauft. Es darf angenommen werden, dass auch Bohdan Khanenko seine Glasmalereien auf solche Weise in Wien erwarb, als er 1885 die österreichische Hauptstadt anlässlich der Versteigerung des Nachlasses des berühmten Künstlers Hans Makart (1840–1884) besuchte. Die Gesamtzahl der Glasmalereien in der Khanenko-Sammlung lässt sich aus dem dritten Dokument, dem Bestandsverzeichnis des Museums von 1925, ermitteln. Dort sind 15 Objekte aufgeführt. Die Beschreibung von 12 von ihnen spiegelt die früheren Verzeichnisse wider und stimmt vollständig mit dem aktuellen Verzeichnis überein. Drei Objekte, zusammen mit dem bereits erwähnten Bild des Erzengels Gabriel, gehören zu den Verlusten des Museums. Heute beherbergt das Khanenko Museum mit über 25.000 Objekten die bedeutendste Sammlung an Weltkunst in der Ukraine. Die Exponate repräsentieren Kulturschätze aus allen fünf Kontinenten (Europa, Asien, Afrika, Amerika, Australien). Die Sammlung umfasst den Zeitraum vom Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts n. Chr. Sie beinhaltet Kunstwerke aus dem alten Ägypten, Griechenland und Rom, byzantinische Ikonen, europäische Gemälde und Skulpturen, Zeichnungen und Druckgrafik, Wandteppiche und Möbel, Glas, Porzellan und Fayencen, Kunstgegenstände aus Gold, Silber und Bronze, chinesische Schriftrollen und dekorative Kunst, japanische Netsuke, Tsuba und Holzschnitte, iranische Miniaturen, Keramiken und Teppiche sowie Artefakte aus dem Buddhismus, um nur einige Bereiche zu nennen. Am Vorabend der russischen Invasion im Jahre 2022 umfasste die Dauerausstellung des Museums rund tausend Kunstwerke. Der Rest war im Museumsdepot gelagert. Die Ausstellung wurde inzwischen abgebaut und alle Gegenstände sind sicher verwahrt. Das Leben im Museum geht jedoch weiter. In den Innenräumen finden Wechselausstellungen zur ukrainischen und internationalen Kunst des 19.–21. Jahrhunderts sowie eintägige Ausstellungen mit Objekten aus den Beständen des Museums statt. Zusätzlich gibt es verschiedene Bildungsveranstaltungen, darunter Exkursionen, Vorträge, Meisterkurse. Die sogenannte Kriegssammlung wird weiterhin ergänzt, indem zeitgenössische Künstler ihre eigenen Werke dem Museum stiften, nachdem sie ausgestellt wurden. Fortgesetzt werden ebenso die Forschungsarbeiten sowie die Digitalisierung der Objekte und Archivdokumente der Sammlung. Zu den weiteren Aktivitäten gehören gemeinsame internationale Projekte, die der Ausstellung, Erforschung und Restaurierung von Werken aus der Sammlung des Museums dienen. Im Rahmen des aktuellen Ausstellungsprojektes werden erstmals seit vielen Jahrzehnten zwölf Khanenko-Glasmalereien gemeinsam präsentiert, die von erfahrenen Fachleuten sorgfältig restauriert, katalogisiert und nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen kommentiert wurden. 21 20
Neben dem Museum Schnütgen gibt es weltweit nur wenige Museen, die größere Konvolute an europäischer Glasmalerei des Mittelalters und der Renaissance zu ihren Sammlungsbeständen zählen. Die größte und inhaltlich umfassendste Sammlung befindet sich im Victoria & Albert Museum in London.1 Über nur annähernd vergleichbare Bestände verfügen das Metropolitan Museum in New York2 sowie die Burrell Collection in Glasgow.3 Die Glasgemäldebestand des Museum Schnütgen ist mit rund 200 Objekten deutlich geringer im Umfang, muss aber mit ihren zahlreichen herausragenden Einzelwerken den internationalen Vergleich nicht scheuen.4 Angefangen bei kaum handtellergroßen Fragmenten bis hin zu vollständigen, aus mehreren Einzelscheiben zusammengesetzten, meterhohen Kirchenfenstern bildet die Sammlung des Museums die Entwicklung der Technik und der künstlerischen Ausdruckformen mittelalterlicher Glasmalerei vom 13. bis zum 16. Jahrhundert in vielen Facetten ab. Ergänzt wird der mittelalterliche Bestand um bedeutende Kreuzgangsverglasungen der Renaissancezeit sowie um eine größere Gruppe an Kabinettscheiben des 16. und 17. Jahrhunderts. Der Schwerpunkt in diesem Sammlungsbereich liegt auf Objekten aus Köln, dem Rheinland und Westfalen. Der Grundstock geht auf den Sammlungsgründer Alexander Schnütgen (1843–1918) zurück (Abb. 1).5 Farbige Glasmalereien spielten in der Ausstattung von mittelalterlichen Kirchen und Klöstern, ab dem ausgehenden 15. Jahrhundert auch von profanen Wohnhäusern wohlhabender Bürger eine zentrale Rolle. Sie verschlossen die mit Beginn der gotischen Epoche zunehmend größer werdenden Fensteröffnungen und ließen als diaphane Wände Abb. 1 Dt. Carl Faust (1874–1935), Porträt Alexander Schnütgen, 1918 1 Williamson 2003. 2 Hayward 2003. 3 Marks 2012. 4 Lymant 1982. 5 Carl Faust (1874–1935), Porträt Alexander Schnütgen, 1918; Köln, Museum Schnütgen, Inv. M 732 Manuela Beer Die Glasgemäldesammlung des Museum Schnütgen Voraussetzungen und Genese eines besonderen Sammlungsbestandes 23
lichen Glasmalereien einstiegen. Dem Kölner Wein- und Tabakhändler Johann Heinrich Pleunissen (1731–1810) gelang der Aufbau einer der qualitätreichsten Sammlungen mittelalterlicher Glasmalereien, die je von einer Privatperson zusammengetragen wurde. Darunter befanden sich auch 64 Glasgemälde aus dem Zisterzienserkloster Altenberg, da Pleunissen das Abteianwesen 1806 zur Begleichung ausstehender Weinrechnungen der Abteien Heisterbach und Siegburg erhalten hatte. Von der Kreuzgangsverglasung aus Kloster Altenberg sind heute noch 44 Glasmalereien überliefert, 19 davon im Museum Schnütgen.12 Neben dem Sammeln fand man in Köln auch vermehrt Gefallen daran, originale mittelalterliche Glasmalereien in neugotische Bauten als Schmuck und als emotionalen Zugang zur mittelalterliche Epoche zu integrieren. So ließ der Kaufmann und Sammler Jakob Johann Nepomuk Lyversberg (1761–1834) ein zweibahniges Maßwerkfenster mit Darstellungen der Kreuztragung und Kreuzigung in die an sein Haus am das Tageslicht in seiner Helligkeit und in den Farbwerten transformiert in das Innere der Gebäude fallen. Ihr transluzider Charakter und ihre Farbqualitäten ließen die Glasmalerei zu einem idealen visuellen Bildmedium werden, um auf oft großen Flächen sowohl biblische Erzählungen in vielteiligen Szenenfolgen (z.B. Kat. 4, 5) als auch eindrucksvolle, monumentale Einzelfiguren wie z.B. Heilige, Propheten und Apostel (Kat. 1) darzustellen. Fest in die rahmende Architektur eingebaut, blieben die meisten mittelalterlichen Glasgemälde oft über Jahrhunderte an ihrem ursprünglichen Bestimmungsort. Hatten Beschädigungen durch Stürme, Brände oder als Folge kriegerischer Auseinandersetzungen immer wieder zum Verlust älterer und zum Einbau neuerer Fenster geführt, so kam es erstmals im Zuge barocker Kirchenraumerneuerungen zum systematischen Entfernen mittelalterlicher Scheiben, um diese durch helltonige Fensterverschlüsse zu ersetzen, die mehr Licht in die Innenräume ließen und als der barocken Architektur adäquat empfunden wurden.6 Nur wenige der damals ausgetauschten Scheiben fanden ihren Weg in private Sammlungen. Ihr Materialwert wurde im Gegensatz zu anderen mittelalterlichen Kunstwerken als gering erachtet. Sie waren schwer zu lagern, nicht leicht wiederzuverwenden und ohne größeren Aufwand kaum zu präsentieren. Die Herauslösung aus dem architektonischen Kontext bedeutete somit in der Regel ihren Untergang.7 Das Interesse, mittelalterliche Glasmalerei systematisch zu sammeln, entwickelte sich erst im 18. Jahrhundert, insbesondere bei englischen Antiquaren und Adeligen. Letztere verfolgten das Ziel, ihre repräsentativen, in neugotischem Stil errichteten Anwesen und insbesondere Privatkapellen angemessen mit mittelalterlichen Glasfenstern zu dekorieren.8 Vollständige Glasfenster waren begehrt und über lange Zeit nur schwer zu erstehen. Dies änderte sich erst an der Wende zum 19. Jahrhundert, und zwar mit der Säkularisation. Diese folgenschwere Auswirkung der Französischen Revolution (1789–1799) führte zu weitreichenden politischen, sozialen und kulturellen Umwälzungen in ganz Europa, insbesondere in Köln und dem Rheinland.9 Nach dem Einmarsch der französischen Truppen im Oktober 1794 wurden in Köln rund 120 Kirchen und Klöster säkularisiert und die Kirchenausstattungen, darunter auch unzählige kostbare Glasmalereien, entfernt. Mittelalterliche Glasmalereien, die dabei nicht zerstört wurden, standen erstmals in großer Zahl als Handelsware und als Sammlungsgut zur Verfügung. Spätestens mit Erlass des Säkularisationsdekrets am 30. Juni 1802 war die Geburtsstunde eines bis dahin kaum gekannten Sammelgebiets, der Glasmalerei, gekommen.10 Die historischen Rahmenbedingungen waren insgesamt günstig. Hatte es im 17. und 18. Jahrhundert in Köln eine Anzahl privater Gelegenheitssammlungen gegeben, die oft nur wenige Jahre existierten und meist durch Versteigerungen wieder aufgelöst wurden, begannen zu Beginn des 19. Jahrhunderts viele kunst- und kulturbegeisterte Angehörige des Kölner Großbürgertums systematisch selbständig zu sammeln und ihre Kunstwerke in ihren Privathäusern darzubieten.11 Die Säkularisation stellte gewissermaßen einen unerwarteten Glücksfall für diese neue Generation von Kunstsammlern dar. Es waren vor allem die Kölner Wein-, Tuch- und Tabakhändler – neben den Bankiers die finanzstärkste Schicht des Großbürgertums in der Stadt – die in den Kauf und Verkauf von mittelalter6 Vgl. Schumacher 1998, 111. 7 Gast 2019, 405. 8 Dazu u.a. Schuhmacher 1998, 111–112; Williamson 2003, 10. – Zu den frühen Sammlungen des 18. Jahrhunderts, die zuerst in England und ab ca. 1780 auch in Deutschland und Frankreich fassbar werden, vgl. Gast 2019, hier bes. 405–407. 9 Zu Vorgeschichte, Durchführung und Folgen der Säkularisation in Köln vgl. Diederich 1995. 10 Wolff-Wintrich 1995, 341. 11 Hierzu und im Folgenden vgl. Kronenberg 1995, bes. 123–125, 132–133; Berghausen 1995, 149–151. 12 Köln, Museum Schnütgen, Inv. M 559–M 570, M 709– M 714. Johann Heinrich Pleunissen vererbte seine Sammlung an seine Tochter Maria Franziska Hirn, 1824 wurde die Sammlung von seinem Enkel Heinrich Schieffer verkauft. – Von den heute 19 im Museum Schnütgen verwahrten Scheiben wurden 13 im Zuge der Neuordnung der Kölner Museen aus dem Kunstgewerbemuseum an das Museum Schnütgen übertragen, mit dem Vermächtnis von Irene Ludwig kamen 2011 sechs weitere hinzu, vgl. Lymant 1982, 192–193, Nr. 119; Wolff-Wintrich 1995, 345; Kat. Rheinische Glasmalerei 2007, Bd. 2, 30–31, Nr. 5 (Dagmar Täube); Woelk/ Beer 2018, 338–339, Nr. 227 (Iris Metje). Abb. 2 Marientod, Köln, um 1250–1260 24 25
tragt war. Er ließ ganze Scheiben bei geringsten Schäden durch neugotische Kopien ersetzen, dabei ging viel Originalsubstanz verloren. Von den ausgesonderten hochgotischen Glasmalereien nahm er dann – ganz im Sinne seines Wahlspruchs Colligite fragmenta ne pereant (Sammelt die übrig gebliebenen Stücke, damit sie nicht untergehen)21 – einige in seine private Sammlung auf, so u.a. den bemerkenswerten Kopf des jüngeren Königs aus dem Dreikönigenfenster (Abb. 3).22 In dem ungewöhnlichen, wohl auf Schnütgens Veranlassung so zusammengefügten Glasgemälde-Pasticcio aus Heumarkt angebaute Kapelle einbringen, beide Scheiben befinden sich im Bestand des Museum Schnütgen.13 Kurz nach der Säkularisation hatte sich Köln zu einem Hauptumschlagsplatz für Glasmalereien in Europa entwickelt14, gut 2000 Scheiben sollen hier binnen zweier Jahrzehnte ihre Besitzer gewechselt haben. Viele der neuen Sammler und Händler stiegen schon bald in das lukrative Geschäft ein, zumal gerade die Nachfrage englischer Händler inzwischen nochmals erheblich angewachsen war. Eine wichtige Rolle als Vermittler beim Verkauf rheinsicher Glasmalereien nach England spielte der gebürtige Deutsche, Christopher Hampp (1750–1825), der sich als Tuchfabrikant in Norwich niedergelassen hatte.15 Bis 1850 war der größte Teil der deutschen Glasmalereien, die sich heute noch in England befinden, dort angekommen.16 Viele der neu angelegten Kölner Glasmalereisammlungen wurden, als ihre Besitzer nach Abzug der napoleonischen Soldaten 1814 in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerieten, schon kurz nach ihrem Entstehen wieder veräußert, und das Säkularisationsgut gelangte ein zweites Mal in den Handel. 1824 wurde die bedeutende Glasgemäldesammlung Pleunissen – Hirn – Schieffer verauktioniert und in alle Welt verstreut.17 Mittlerweile hatte sich in Köln ein professioneller Kunstmarkt etabliert. Ab den 1840er Jahren fanden alle großen Kölner Nachlassversteigerungen bei der Firma J.M. Heberle statt, die seinerzeit eine Monopolstellung im Kölner Kunsthandel erlangt hatte.18 Bei der Versteigerung der Kunstsammlung von Johann Anton Ramboux (1790–1866) im Jahr 1867 trat der frisch zum Priester geweihte, junge Alexander Schnütgen erstmals öffentlich als Käufer in Erscheinung und erwarb einige mittelalterliche Gemälde – der Grundstein für seine Sammlung war gelegt.19 Ende der 1860er Jahre, als Schnütgen seine Sammelleidenschaft für mittelalterliche Kunst entdeckte, war jene Zeit, in der Glasgemälde in großer Auswahl im Kölner Kunsthandel verfügbar waren, längst vorüber. Blickt man auf die Glasgemälde, die Schnütgen zwischen 1867 und der Schenkung seiner Sammlung an die Stadt Köln 1906 erworben haben muss, so fällt auf, dass es sich neben zwei sehr bedeutenden Rundbogenfenstern aus der Mitte des 13. Jahrhunderts mit den Darstellungen von Marientod (Abb. 2) und Marienkrönung20 fast ausschließlich um kleinere Kabinettscheiben und Glasmalereifragmente handelt. Im Ursprungsbestand des Sammlungsgründers befanden sich auffallend viele mittelalterliche Kopffragmente, die aus dem Kontext der Erzählzyklen größerer Kirchenfenster herausgelöst waren und im Kunsthandel wohl auch noch im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts leichter und günstiger zu erwerben waren. Dass Schnütgen auch jenseits der frei zugänglichen Ankaufsquellen über Möglichkeiten verfügte, in den Besitz von Glasmalereien zu gelangen, ist kein Geheimnis. Im ausgehenden 19. Jahrhundert begann mit der Hinwendung zu den Denkmalen der Vergangenheit vielerorts die Instandsetzung und Sicherung der Bauwerke sowie ihrer Glasmalereien. Die damalige Restaurierungspraxis hatte den stilgerechten, harmonischen Gesamteindruck zum Ziel, was zu massiven Eingriffen in die Originalsubstanz führte. Ganz in diesem Sinne handelte auch Schnütgen, der zwischen 1899 und 1901 mit der Organisation der Arbeiten an den drei Achskapellenfenstern des Kölner Domes beaufAbb. 3 Königskopf aus dem Dreikönigenfenster des Kölner Domes, Köln, um 1330–1340 13 Köln, Museum Schnütgen, Inv. M 167a–b; Lymant 1982, 77–80, Nr. 45–46; Mädger 1995, 195–196; Woelk/Beer 2018, 232–233, Nr. 151 (Pavla Ralcheva). 14 Wolff-Wintrich 1995, 341; Gast 2019, 412. 15 Wolff-Wintrich 1995, 341. 16 Ausführlich zu diesem Thema vgl. Williamson 2007. 17 Vgl. Anm. 12. Eine weitere, reine Glasgemäldesammlung besaß der Kölner Tuchhändler Caspar Heinrich Bemberg (1744–1824), vgl. Berghausen 1995, 151. Eine Auflistung der frühen Kölner Sammlungen, in denen sich Glasmalereien neben anderen Objekten befanden, bei Schuhmacher 1998, 112. 18 Kronenberg 1995, 132– 133. 19 Zu Schnütgens Anfängen als Kunstsammler vgl. WestermannAngerhausen/Beer 2006, 4. 20 Köln, Museum Schnütgen, Inv. M 2 und M 3. – Lymant 1982, 11–15, Nr. 1–2; Woelk/Beer 2018, 150–151, Nr. 96 (Moritz Woelk). 21 Westermann-Angerhausen 1993. 22 Köln, Museum Schnütgen, Inv. M 40. – Zu dem nicht unumstrittenen Wirken Schnütgens bei diesen Maßnahmen vgl. u.a. Kat. Himmelslicht 1998, 312–313, Nr. 82 (Claudia Schuhmacher). 26 27
Kopf- und Figurenfragmenten der Kölner Kirche St. Maria Sion (Abb. 4)23 kommt nicht nur sein Lebensmotto bildhaft zum Ausdruck. Sein Anspruch, mit seiner Sammlung eine chronologische und inhaltliche Entwicklung der christlichen Kunst des Mittelalters zu repräsentieren, die zugleich als Lehrsammlung für die zeitgenössische, neugotische Kunstproduktion dienen solle, spiegelt sich hier deutlich. Anschaulich wird dies beim Blick in sein Sammlerdomizil, das in einer eindrucksvollen Fotoserie von Emil Hermann aus dem Jahr 1910 dokumentiert wurde (Abb. 5).24 Dicht an dicht drängen sich die nach Materialien, Formen und Themen arrangierten Werke – eine Glasmalerei ist auf keiner der Innenraumaufnahmen zu sehen. Deutlich wird aber, dass Schnütgen in seinen recht dunklen, nicht elektrifizierten Räumen keine Glasmalereien vor oder in die wenigen Fenstern hätte einbauen lassen können, ohne den ohnehin schon spärlichen Tageslichteinfall weiter zu reduzieren. In anderen Sammlungen, allen voran in der der berühmten und als vorbildhaft empfundenen Sammlung von Frédéric Spitzer (1815–1890) in Paris25, dienten originale Gasmalereien als das vollendende Element bei der Gestaltung der modernen „period rooms“, an Abb. 4 Pasticcio-Scheibe mit Kopf- und Figurenfragmenten aus St. Maria Sion in Köln, Köln, um 1230–1245 denen sich u.a. auch die Eheleute Khanenko in Kyjiw zur Inszenierung ihrer Sammlung orientierten.26 Ein neues Kapitel in der Geschichte der Glasmalereisammlung des 1910 eröffneten Museum Schnütgen begann kurz vor dem zweiten Weltkrieg mit der Neuordnung der Kölner Museen in den Jahren 1930–1932. Damals fand die große Glasgemäldesammlung aus dem Bestand des Kunstgewerbemuseums den Weg in die Sammlung des Museum Schnütgen.Das war eine erhebliche Bereicherung, wenn man bedenkt, dass sie bis heute den größten und bedeutendsten Teil des Glasmalereibestands darstellt. Viele der zu diesem zweiten Sammlungskonvolut gehörenden Glasgemälde verdanken ihre Erhaltung dem engagierten Wirken der beiden Kölner Sammler Ferdinand Franz Wallraf (1748–1824) und Matthias Joseph De Noël (1782–1849), die sich schon eine Generation vor jener Alexander Schnütgens für die Rettung der mittelalterlichen Glasmalereien Kölns eingesetzt hatten.27 1930–1932 kamen jene großen mehrteiligen Fenster in die Sammlung, für die das Museum heute berühmt ist, so u.a. das Dreikönigenfenster aus der Kölner Ratskapelle (Kat. 6) und das Zehngebotefenster aus der Karmeliterkirche in 23 Köln, Museum Schnütgen, Inv. M 6. – Lymant 1982, 19–21, Nr. 4. 24 Zur Inszenierung der Sammlung Schnütgen vgl. Beer 2015 und 2018. 25 Shepard 2019, 424. 26 Vgl. den Beitrag von Matselo in dieser Publikation sowie Welzel/Zeising 2022, 117–118. 27 Wallraf hatte sich erfolgreich dafür eingesetzt, die für den 29. November 1802 angekündigte Versteigerung der Fenster aus St. Clara, St. Apern und St. Cäcilien aussetzen zu lassen. Stattdessen ließ er die Kreuzgangsverglasungen aus St. Apern und St. Cäcilien inventarisieren und zur sicheren Verwahrung in das Jesuitenkolleg bringen, vgl. Wolff-Wintrich 1995, 341. Abb. 5 Privates Domizil von Alexander Schnütgen, um 1910 28 29
Boppard (Kat. 5). Zeitgleich bot sich mit der Loslösung des Schnütgen-Museums aus der räumlichen Bindung an das Kunstgewerbemuseum und dem Umzug in die weiten und lichten Räumlichkeiten des Deutzer Heribertklosters eine herausragende Möglichkeit, die Glasmalereisammlung neu zu präsentieren, nachdem in der ersten musealen Präsentation nur wenige Glasfenster vereinzelt vor die Fenster montiert worden waren (Abb. 6). Der erste Direktor des Museums, Fritz Witte (1876–1937), arrangierte im ersten eigenen Museumsgebäude der Sammlung ab 1932 die großen Glasmalereien großzügig und von Tageslicht durchflutet (Abb. 7). Seine Inszenierung entsprach in weiten Teilen dem, was damals von führenden europäischen und nordamerikanischen Museumsleuten als moderne und angemessene museale Präsentation erachtet wurde.28 Das zur Präsentation der Glasgemälde so geeignete Museumsgebäude wurde im Zweiten Weltkrieg vollständig zerstört, die empfindlichen Kunstwerke hatte man zuvor rechtzeitig ausgebaut und sicher verwahrt. In den folgenden Sammlungspräsentationen versuchte man immer wieder, an die Inszenierung im Heribertkloster anzuknüpfen. Die romanische Cäcilienkirche, in deren Räumen das Museum Schnütgen 1956 als erstes der Kölner Museen nach dem Krieg wiedereröffnet wurde, bot trotz seiner besonderen Atmosphäre weniger geeigneten Raum: Die Glasmalereien wurden fortan teils in Leuchtkästen und teils vor die Kirchenfenster montiert präsentiert (Abb. 8). Erst mit dem Neubau von 2010 war es erneut möglich, eine lange, von Tageslicht durchflutete Galerie der Glasmalereien einzurichten. Hier sind heute vor allem die 19 Scheiben aus dem Altenberger Kreuzgang zu sehen (Abb. 9). Zusammen mit anderen herausragenden Glasmalereien waren sie im Jahr 2011 aus dem Vermächtnis von Irene Ludwig an das Haus gekommen und stellen nunmehr das dritte zusammenhängende Konvolut des Museum Schnütgen dar. Dieses erfuhr 2018 durch zwölf weitere Leihgaben der Peter und Irene Ludwig Stiftung nochmals eine beträchtliche Erweiterung. Zwei dieser Leihgaben werden nun erstmals öffentlich präsentiert (Kat. 13–14). 28 So u.a. Joseph Henry Breck (1885–1933), Gründungsdirektor des an das Metropolitan Museum angegliederten Cloisters, der der Glasmalerei ebenfalls einen besonderen Stellenwert in seiner Sammlungspräsentation beimaß, vgl. u.a. Shepard, 2019, 427–428. Abb. 7 Schnütgen-Museum in der ehemaligen Abtei St. Heribert, um 1932 Abb. 6 Schnütgen-Museum, erste museale Präsentation im Anbau des Kunstgewerbemuseums, 1910–1932 30 31
Die wechselvolle Geschichte Kölns seit der französischen Besatzungszeit spiegelt sich in keinem anderen Sammlungsbereich des Museum Schnütgen so deutlich wider wie in dem Bestand an Glasmalereien. Im Grunde genommen gibt es heute in Köln nur noch zwei Orte, die eine Vorstellung vom einstigen Reichtum an mittelalterlicher Glasmalerei vermitteln: der Kölner Dom, in dessen Neuverglasung Ende des 19. Jahrhunderts auch viele der Glasmalereien säkularisierter Kirchen und Klöster eingebracht wurden – stellvertretend seien hier nur die geretteten Scheiben aus den Kreuzgängen von St. Cäcilien und St. Apern genannt – und das Museum Schnütgen. Durch Ankäufe, Schenkungen und Dauerleihgaben konnte das Museum Schnütgen in den vergangenen, fast hundert Jahren seinen Bestand bereichern und akzentuieren. Dies mögen exemplarisch die jüngst erworbenen Glasmalereien aus der SainteChapelle in Dijon29 und eine neue Dauerleihgabe aus Privatbesitz, die Darstellung der Versuchung Christi (Kat. 20) verdeutlichen. Letztere stammt vermutlich aus der verlorenen Kreuzgangsverglasung von St. Cäcilien und kehrt somit anlässlich der aktuellen Ausstellung erstmals an ihren ersten Bestimmungsort zurück. 29 Woelk 2024, 89–91, Kat. 13–14. Abb. 8 Schnütgen-Museum, museale Inszenierung in der Cäcilienkirche, Südemporenanraum, nach 1956 Abb. 9 Museum Schnütgen, Erweiterungsbau, 2010 33 32
Katalog
Prophet Ezechiel und Apostel Paulus Soissons, Kathedrale Saint Gervais et Saint Protais Frankreich, 1. Viertel 13. Jh. Glasmalerei 75,1 x 88,4 cm; 80,4 x 97 cm Kyjiw, Khanenko Museum, Inv. 135 БР МХ, 136 БP МХ 1 Die ältesten Scheiben der Sammlung Khanenko zeigen charaktervolle Brustbilder, die einst zu überlebensgroßen Figuren aus Kirchenfenstern des frühen 13. Jahrhunderts gehörten. Ihr heutiges Erscheinungsbild ist ein typisches Beispiel sogenannter Kompositscheiben, die im Zeitalter des Historismus im 19. Jahrhundert aus fragmentierten oder beschädigten Originalen für den Kunsthandel zusammengesetzt wurden. Beide auf diese Art ergänzten Glasgemälde stammen mutmaßlich aus dem zwischen 1212 und 1220 errichteten Chorobergaden der Kathedrale von Soissons, dessen etwa neun Meter hohe Fenster unter anderem mit übereinander angeordneten Propheten- und Apostelfiguren besetzt gewesen waren. Die an der Stirnlocke leicht erkennbare Gestalt des Apostels Paulus enthält im Binnenbild noch überwiegend alte Glassubstanz, darunter einen markanten Rahmen aus zeittypischem „geflammtem“ rotem Glas. Dagegen zeigt der Hintergrund der Prophetenfigur ein Pasticcio aus authentischen, jedoch kaum zusammenhängenden Fragmenten. Darunter finden sich Teile von Architekturen, Gewändern oder Haaren, heraldischen Motiven (etwa das Wappen von Kastilien in Form einer Burg) sowie Bruchstücke von mindestens drei Inschriften. Die gut lesbare Inschrift im Rücken des Propheten – EZEC(I)EL – erlaubt die ikonographische Bestimmung dieser Figur, die ebenso wie die des Apostel Paulus mit einem Heiligenschein versehen ist. Das zweite durch Flickstücke verunklärte Fragment des Spruchbandes SPECIES ELECTR(I) weist auf die Prophezeiung Ezechiels zur göttlichen Erscheinung hin: „Und aus seiner Mitte, mitten aus dem Feuer, da strahlte es wie glänzendes Metall“ (Ez1,4). Im Zuge der Restaurierung 1875–1891 wurden aus der Kathedrale von Soissons mehrere kostbare Originale entfernt. Wenige Jahre später tauchten einige davon im Pariser Kunsthandel auf, wo sie wahrscheinlich von dem kunstbegeisterten Ehepaar Khanenko erworben wurden. Neben dem Khanenko-Museum in Kyjiw befinden sich Teile dieser hochkarätigen Verglasung auch im Louvre in Paris, im Cloisters in New York, in der Walters Art Gallery in Baltimore, im Stained Glass Museum in Ely und in weiteren öffentlichen und privaten Sammlungen weltweit. Макаренко 1924, 85, 90. – Grodecki 1953. – Grodecki 1960. – Muratova 1970. – Grodecki/Perrot/Taralon 1978, 169–172. – Caviness/Pastan/Beaven 1984, 10. – Caviness 1990, 59–62. – Рославець 2005. Elena Kosina 36
Prophet Ezechiel Apostel Paulus 38 39
Hl. Bilhildis Mittelrhein, um 1280–1290 Glasmalerei 35,7 x 18,1 cm Sammlung Alexander Schnütgen Köln, Museum Schnütgen, Inv. M 33 2 Die fragmentarisch erhaltene Glasmalerei mit der Darstellung der hl. Bilhildis zählt zu den wenigen Glasgemälden aus der Sammlung des Museumsgründers Alexander Schnütgen. Eine Inschrift im Spitzbogen über dem Nimbus verweist namentlich auf die eher unbekannte Heilige, deren Leben und Wirken im Einsatz für Kranke eng mit der Stadt Mainz verbunden ist. Die fränkische Adlige (geb. Mitte 7. Jahrundert, gest. 734) gilt als Gründerin des Klosters Altenmünster in Mainz, dem sie nach dem Tod ihres Mannes, des heidnischen Frankenherzogs Hetan, als Äbtissin vorstand. Die Glasmalerei zeigt Bilhildis jedoch nicht als Äbtissin, sondern in vornehmer weltlicher Kleidung. Die Deutung der Blüten in ihrer Hand ist bislang ungeklärt. Die enge Verbindung zu Mainz und die seltene Darstellung der Bilhildis, die sich fast ausschließlich auf den Mainzer Umkreis beschränkt, führten zur Lokalisierung der Glasmalerei an den Mittelrhein. Zudem lassen sich in der Farbgebung, der malerischen Ausführung des Gesichts, der Gestaltung des Hintergrunds mit stilisierten Hopfenranken und in dem die Figur überfangenden Spitzbogen mit Kreisornamentik enge Bezüge zu einem Spitzbogenfenster mit der Darstellung der hll. Kunigunde und Benedikt erkennen, das sich heute im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt (Inv. Kg 33:3) befindet. Die Figur des hl. Benedikt in der Darmstädter Scheibe könnte auf die Herkunft aus der Verglasung eines Benediktinerklosters hindeuten, möglicherweise des ehemaligen Klosters Eibingen im Rheingau. Die geringe Größe des Fensters lässt vermuten, dass es nicht für den Kirchenbau, sondern für einen Raum mit kleineren Fensteröffnungen geschaffen wurde. Dem Darmstädter Fenster werden zudem zwei heute verschollene Glasmalereien, ehemals in der Sammlung von Wilhelm Conrady (1829–1903), mit den Darstellungen der hll. Katharina und Agnes mit einer Nonne als Stifterin sowie der Einzelfigur des hl. Augustinus zugeordnet. Diese beiden Spitzbogenfenster, nur als Schwarz-Weiß-Aufnahmen überliefert, zeigen ebenfalls Parallelen in den Ausmaßen und der stilistischen Ausführung zur Bilhildis-Scheibe. Die ornamentale Gestaltung des Hintergrunds weicht hingegen ab. In Anlehnung an die Komposition dieser Spitzbogenfenster könnte die frontal ausgerichtete hl. Bilhildis ehemals entweder als Einzelfigur in einem weiteren Fenster desselben Kontexts wie die übrigen genannten Scheiben dargestellt worden sein oder aber in einer paarweisen Anordnung mit einer anderen Heiligenfigur. Oidtmann 1912, 159. – Wentzel 1954, 32. – Schnitzler 1936, 26. – Beeh-Lustenberger 1973, 76, Nr. 103. – Lymant 1982, 43–44, Nr. 23. – Kat. Himmelslicht 1998, 210–211, Nr. 37 (Daniel Hess) – Hess 1999, 39, Abb. 17. – Kat. Krone und Schleier 2005, 377, Nr. 269 (Dagmar Täube). Carola Hagnau 40
Kreuzigung Christi und Stifterpaar van der Molen Soest, um 1300 Glasmalerei 57,4 x 38,9 cm; 47,5 x 39,2 cm Vom Kölner Kunstgewerbemuseum 1930–1932 übernommen Köln, Museum Schnütgen, Inv. M 660, M 614 3 Die Figuren von Christus, Maria und Johannes auf der einen sowie des Stifterpaars auf der anderen Scheibe treten durch den Kontrast des Buntglases zum farblosen Grisaillegrund deutlich hervor. Für die Gestaltung der Farbpartien wurde insbesondere blaues, gelbes und rotes Glas verwendet. Das Grün des Kreuzes, das symbolisch auf den Lebensbaum verweist und an keiner anderen Stelle zu finden ist, hebt dieses zentrale christliche Zeichen hervor. Das Stifterpaar ist von einer hellblauen Raute hinterfangen, deren harte geometrische Form durch die wellenförmigen Schriftbänder durchbrochen wird. Die beiden Glasmalereien gehören zu einem Zyklus, der um 1300 als Kollektivstiftung verschiedener Paare aus dem Soester Bürgertum angefertigt wurde. Für welche Kirche die Scheiben bestimmt waren, ist unklar. Sie könnten für den romanischen Vorgängerbau der Paulikirche in Soest gedacht gewesen sein, der 1350 durch einen gotischen Neubau ersetzt wurde (Landolt-Wegener). Drei Scheiben mit Stifterpaaren haben sich in den Kirchenfenstern von St. Pauli erhalten, zwei weitere befinden sich in den Museen Burg Altena. Ursprünglich war jedes Stifterpaar wohl einer Heiligendarstellung oder biblischen Szene zugeordnet, die Kreuzigung ist jedoch die einzig überlieferte biblische Szene. Eine einstige Anordnung dieser Kreuzigung über der im Museum Schnütgen erhaltenen Stifterscheibe ist in Hinblick auf die unterschiedliche Ausführung des Hintergrunds unwahrscheinlich: Während bei der Kreuzigung die zarten Blattranken als Negativform aus dem Schwarzlot herausmodelliert wurden, sind auf der Stifterscheibe die Konturen der Blätter und Trauben mit ihren kräftigeren Stängeln vor einem schraffierten Grund gesetzt. Für beide finden sich stilistische Entsprechungen in den übrigen Scheiben. So kann angenommen werden, dass die Kreuzigung über einem im Hintergrund passenden Stifterbildnis eingesetzt war. Die Stifterscheibe hingegen bildet zusammen mit einer weiteren in der Paulikirche eine eigene Gruppe innerhalb des Zyklus. Die Paare auf diesen Pendants können dank der Inschriften als Metges (?) und Godefridus van der Molen sowie Druda und Gota Medebecke identifiziert werden, zwei miteinander verwandte und urkundlich kurz vor 1300 belegte Soester Familien. Auch bei allen weiteren Stifterpaaren scheint es sich um wohlhabende Soester Familien zu handeln – zwei der Männer waren wahrscheinlich Ratsherren, einer vielleicht Bürgermeister um 1300. Auffällig ist, dass die Frau jeweils die im christlichen Glauben hierarchisch höher angesehene Seite links im Bild, zur rechten Christi, einnimmt. Ob dies in Analogie an die festgesetzte Aufstellung Marias und Johannes zur rechten bzw. linken Seite des Kreuzes geschehen ist, kann ohne die fehlenden biblischen Darstellungen nicht geklärt werden. Von Falke/Creutz 1910, 8. – Oidtmann 1912, 159. – Landolt-Wegener 1959, 33–37. – Lymant 1982, 46–49, Nr. 25/26. – Kat. Himmelslicht 1998, 204–205, Nr. 34.1–2 (Carola Hagnau). – Wittekind 2007, 199–200. – Kat. Goldene Pracht 2012, 392–393, Nr. 225 (Petra Marx). Jule Wölk 42
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