Licht in dunklen Zeiten

fenster mit der Darstellung des Erzengels Gabriel, wird die Herkunft angegeben: „Pirri“, Kat. Nr. 426. Dieser Eintrag kann als Hinweis auf die Versteigerung der Sammlung Filippo Pirri in Rom im Jahr 1889 interpretiert werden. Die Abbildung und die Beschreibung des Kunstobjektes, das unter der Nummer 426 im Pirri-Katalog veröffentlicht ist, bestätigen diese Annahme zweifelsfrei. Das zweite Dokument ist eine Katalogbeschreibung der Objekte der KhanenkoSammlung aus dem Jahr 1919, die noch zu Lebzeiten von Varvara Nikoliwna und wahrscheinlich in Absprache mit ihr von den ersten Mitarbeitern des neu gegründeten Museums erstellt wurde. In diesen Beschreibungen werden lediglich sechs Glasscheiben erwähnt: Das „Pfingstwunder“ und fünf kleine Objekte mit Wappen und Heiligenbildern. Auf der Seite mit der Beschreibung des „Pfingstwunders“ heißt es in der Spalte „Ursprung“: „Sammlung Tolin“. Das heißt, dieses Glasfenster wurde 1897 bei einer Versteigerung der Sammlung von Adolphe Tollin in Paris erworben, was die detaillierte Beschreibung des Objekts unter der Nummer 76 im Auktionskatalog bestätigt. Bedauerlicherweise ist dies die einzige schriftliche Information, die heute über die Herkunft der Glasscheiben in der Khanenko-Sammlung vorliegt. Die einzige Vermutung, die in diesem Zusammenhang angenommen werden kann, betrifft die Glasgemälde „Christus erscheint Maria Magdalena“ und „Christus am Ölberg“. Die Forschungsergebnisse bestätigen, dass diese beiden Tafeln Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden sind und aus der Kirche Maria Strassengel in der Nähe der Stadt Graz in Österreich stammen. Im Jahr 1885 wurde diese Kirche restauriert, wodurch einige der Glasscheiben in Privatsammlungen gelangten – nicht über Versteigerungen, sondern zumeist unter der Hand gekauft. Es darf angenommen werden, dass auch Bohdan Khanenko seine Glasmalereien auf solche Weise in Wien erwarb, als er 1885 die österreichische Hauptstadt anlässlich der Versteigerung des Nachlasses des berühmten Künstlers Hans Makart (1840–1884) besuchte. Die Gesamtzahl der Glasmalereien in der Khanenko-Sammlung lässt sich aus dem dritten Dokument, dem Bestandsverzeichnis des Museums von 1925, ermitteln. Dort sind 15 Objekte aufgeführt. Die Beschreibung von 12 von ihnen spiegelt die früheren Verzeichnisse wider und stimmt vollständig mit dem aktuellen Verzeichnis überein. Drei Objekte, zusammen mit dem bereits erwähnten Bild des Erzengels Gabriel, gehören zu den Verlusten des Museums. Heute beherbergt das Khanenko Museum mit über 25.000 Objekten die bedeutendste Sammlung an Weltkunst in der Ukraine. Die Exponate repräsentieren Kulturschätze aus allen fünf Kontinenten (Europa, Asien, Afrika, Amerika, Australien). Die Sammlung umfasst den Zeitraum vom Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts n. Chr. Sie beinhaltet Kunstwerke aus dem alten Ägypten, Griechenland und Rom, byzantinische Ikonen, europäische Gemälde und Skulpturen, Zeichnungen und Druckgrafik, Wandteppiche und Möbel, Glas, Porzellan und Fayencen, Kunstgegenstände aus Gold, Silber und Bronze, chinesische Schriftrollen und dekorative Kunst, japanische Netsuke, Tsuba und Holzschnitte, iranische Miniaturen, Keramiken und Teppiche sowie Artefakte aus dem Buddhismus, um nur einige Bereiche zu nennen. Am Vorabend der russischen Invasion im Jahre 2022 umfasste die Dauerausstellung des Museums rund tausend Kunstwerke. Der Rest war im Museumsdepot gelagert. Die Ausstellung wurde inzwischen abgebaut und alle Gegenstände sind sicher verwahrt. Das Leben im Museum geht jedoch weiter. In den Innenräumen finden Wechselausstellungen zur ukrainischen und internationalen Kunst des 19.–21. Jahrhunderts sowie eintägige Ausstellungen mit Objekten aus den Beständen des Museums statt. Zusätzlich gibt es verschiedene Bildungsveranstaltungen, darunter Exkursionen, Vorträge, Meisterkurse. Die sogenannte Kriegssammlung wird weiterhin ergänzt, indem zeitgenössische Künstler ihre eigenen Werke dem Museum stiften, nachdem sie ausgestellt wurden. Fortgesetzt werden ebenso die Forschungsarbeiten sowie die Digitalisierung der Objekte und Archivdokumente der Sammlung. Zu den weiteren Aktivitäten gehören gemeinsame internationale Projekte, die der Ausstellung, Erforschung und Restaurierung von Werken aus der Sammlung des Museums dienen. Im Rahmen des aktuellen Ausstellungsprojektes werden erstmals seit vielen Jahrzehnten zwölf Khanenko-Glasmalereien gemeinsam präsentiert, die von erfahrenen Fachleuten sorgfältig restauriert, katalogisiert und nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen kommentiert wurden. 21 20

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