Licht in dunklen Zeiten

tragt war. Er ließ ganze Scheiben bei geringsten Schäden durch neugotische Kopien ersetzen, dabei ging viel Originalsubstanz verloren. Von den ausgesonderten hochgotischen Glasmalereien nahm er dann – ganz im Sinne seines Wahlspruchs Colligite fragmenta ne pereant (Sammelt die übrig gebliebenen Stücke, damit sie nicht untergehen)21 – einige in seine private Sammlung auf, so u.a. den bemerkenswerten Kopf des jüngeren Königs aus dem Dreikönigenfenster (Abb. 3).22 In dem ungewöhnlichen, wohl auf Schnütgens Veranlassung so zusammengefügten Glasgemälde-Pasticcio aus Heumarkt angebaute Kapelle einbringen, beide Scheiben befinden sich im Bestand des Museum Schnütgen.13 Kurz nach der Säkularisation hatte sich Köln zu einem Hauptumschlagsplatz für Glasmalereien in Europa entwickelt14, gut 2000 Scheiben sollen hier binnen zweier Jahrzehnte ihre Besitzer gewechselt haben. Viele der neuen Sammler und Händler stiegen schon bald in das lukrative Geschäft ein, zumal gerade die Nachfrage englischer Händler inzwischen nochmals erheblich angewachsen war. Eine wichtige Rolle als Vermittler beim Verkauf rheinsicher Glasmalereien nach England spielte der gebürtige Deutsche, Christopher Hampp (1750–1825), der sich als Tuchfabrikant in Norwich niedergelassen hatte.15 Bis 1850 war der größte Teil der deutschen Glasmalereien, die sich heute noch in England befinden, dort angekommen.16 Viele der neu angelegten Kölner Glasmalereisammlungen wurden, als ihre Besitzer nach Abzug der napoleonischen Soldaten 1814 in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerieten, schon kurz nach ihrem Entstehen wieder veräußert, und das Säkularisationsgut gelangte ein zweites Mal in den Handel. 1824 wurde die bedeutende Glasgemäldesammlung Pleunissen – Hirn – Schieffer verauktioniert und in alle Welt verstreut.17 Mittlerweile hatte sich in Köln ein professioneller Kunstmarkt etabliert. Ab den 1840er Jahren fanden alle großen Kölner Nachlassversteigerungen bei der Firma J.M. Heberle statt, die seinerzeit eine Monopolstellung im Kölner Kunsthandel erlangt hatte.18 Bei der Versteigerung der Kunstsammlung von Johann Anton Ramboux (1790–1866) im Jahr 1867 trat der frisch zum Priester geweihte, junge Alexander Schnütgen erstmals öffentlich als Käufer in Erscheinung und erwarb einige mittelalterliche Gemälde – der Grundstein für seine Sammlung war gelegt.19 Ende der 1860er Jahre, als Schnütgen seine Sammelleidenschaft für mittelalterliche Kunst entdeckte, war jene Zeit, in der Glasgemälde in großer Auswahl im Kölner Kunsthandel verfügbar waren, längst vorüber. Blickt man auf die Glasgemälde, die Schnütgen zwischen 1867 und der Schenkung seiner Sammlung an die Stadt Köln 1906 erworben haben muss, so fällt auf, dass es sich neben zwei sehr bedeutenden Rundbogenfenstern aus der Mitte des 13. Jahrhunderts mit den Darstellungen von Marientod (Abb. 2) und Marienkrönung20 fast ausschließlich um kleinere Kabinettscheiben und Glasmalereifragmente handelt. Im Ursprungsbestand des Sammlungsgründers befanden sich auffallend viele mittelalterliche Kopffragmente, die aus dem Kontext der Erzählzyklen größerer Kirchenfenster herausgelöst waren und im Kunsthandel wohl auch noch im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts leichter und günstiger zu erwerben waren. Dass Schnütgen auch jenseits der frei zugänglichen Ankaufsquellen über Möglichkeiten verfügte, in den Besitz von Glasmalereien zu gelangen, ist kein Geheimnis. Im ausgehenden 19. Jahrhundert begann mit der Hinwendung zu den Denkmalen der Vergangenheit vielerorts die Instandsetzung und Sicherung der Bauwerke sowie ihrer Glasmalereien. Die damalige Restaurierungspraxis hatte den stilgerechten, harmonischen Gesamteindruck zum Ziel, was zu massiven Eingriffen in die Originalsubstanz führte. Ganz in diesem Sinne handelte auch Schnütgen, der zwischen 1899 und 1901 mit der Organisation der Arbeiten an den drei Achskapellenfenstern des Kölner Domes beaufAbb. 3 Königskopf aus dem Dreikönigenfenster des Kölner Domes, Köln, um 1330–1340 13 Köln, Museum Schnütgen, Inv. M 167a–b; Lymant 1982, 77–80, Nr. 45–46; Mädger 1995, 195–196; Woelk/Beer 2018, 232–233, Nr. 151 (Pavla Ralcheva). 14 Wolff-Wintrich 1995, 341; Gast 2019, 412. 15 Wolff-Wintrich 1995, 341. 16 Ausführlich zu diesem Thema vgl. Williamson 2007. 17 Vgl. Anm. 12. Eine weitere, reine Glasgemäldesammlung besaß der Kölner Tuchhändler Caspar Heinrich Bemberg (1744–1824), vgl. Berghausen 1995, 151. Eine Auflistung der frühen Kölner Sammlungen, in denen sich Glasmalereien neben anderen Objekten befanden, bei Schuhmacher 1998, 112. 18 Kronenberg 1995, 132– 133. 19 Zu Schnütgens Anfängen als Kunstsammler vgl. WestermannAngerhausen/Beer 2006, 4. 20 Köln, Museum Schnütgen, Inv. M 2 und M 3. – Lymant 1982, 11–15, Nr. 1–2; Woelk/Beer 2018, 150–151, Nr. 96 (Moritz Woelk). 21 Westermann-Angerhausen 1993. 22 Köln, Museum Schnütgen, Inv. M 40. – Zu dem nicht unumstrittenen Wirken Schnütgens bei diesen Maßnahmen vgl. u.a. Kat. Himmelslicht 1998, 312–313, Nr. 82 (Claudia Schuhmacher). 26 27

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