Kopf- und Figurenfragmenten der Kölner Kirche St. Maria Sion (Abb. 4)23 kommt nicht nur sein Lebensmotto bildhaft zum Ausdruck. Sein Anspruch, mit seiner Sammlung eine chronologische und inhaltliche Entwicklung der christlichen Kunst des Mittelalters zu repräsentieren, die zugleich als Lehrsammlung für die zeitgenössische, neugotische Kunstproduktion dienen solle, spiegelt sich hier deutlich. Anschaulich wird dies beim Blick in sein Sammlerdomizil, das in einer eindrucksvollen Fotoserie von Emil Hermann aus dem Jahr 1910 dokumentiert wurde (Abb. 5).24 Dicht an dicht drängen sich die nach Materialien, Formen und Themen arrangierten Werke – eine Glasmalerei ist auf keiner der Innenraumaufnahmen zu sehen. Deutlich wird aber, dass Schnütgen in seinen recht dunklen, nicht elektrifizierten Räumen keine Glasmalereien vor oder in die wenigen Fenstern hätte einbauen lassen können, ohne den ohnehin schon spärlichen Tageslichteinfall weiter zu reduzieren. In anderen Sammlungen, allen voran in der der berühmten und als vorbildhaft empfundenen Sammlung von Frédéric Spitzer (1815–1890) in Paris25, dienten originale Gasmalereien als das vollendende Element bei der Gestaltung der modernen „period rooms“, an Abb. 4 Pasticcio-Scheibe mit Kopf- und Figurenfragmenten aus St. Maria Sion in Köln, Köln, um 1230–1245 denen sich u.a. auch die Eheleute Khanenko in Kyjiw zur Inszenierung ihrer Sammlung orientierten.26 Ein neues Kapitel in der Geschichte der Glasmalereisammlung des 1910 eröffneten Museum Schnütgen begann kurz vor dem zweiten Weltkrieg mit der Neuordnung der Kölner Museen in den Jahren 1930–1932. Damals fand die große Glasgemäldesammlung aus dem Bestand des Kunstgewerbemuseums den Weg in die Sammlung des Museum Schnütgen.Das war eine erhebliche Bereicherung, wenn man bedenkt, dass sie bis heute den größten und bedeutendsten Teil des Glasmalereibestands darstellt. Viele der zu diesem zweiten Sammlungskonvolut gehörenden Glasgemälde verdanken ihre Erhaltung dem engagierten Wirken der beiden Kölner Sammler Ferdinand Franz Wallraf (1748–1824) und Matthias Joseph De Noël (1782–1849), die sich schon eine Generation vor jener Alexander Schnütgens für die Rettung der mittelalterlichen Glasmalereien Kölns eingesetzt hatten.27 1930–1932 kamen jene großen mehrteiligen Fenster in die Sammlung, für die das Museum heute berühmt ist, so u.a. das Dreikönigenfenster aus der Kölner Ratskapelle (Kat. 6) und das Zehngebotefenster aus der Karmeliterkirche in 23 Köln, Museum Schnütgen, Inv. M 6. – Lymant 1982, 19–21, Nr. 4. 24 Zur Inszenierung der Sammlung Schnütgen vgl. Beer 2015 und 2018. 25 Shepard 2019, 424. 26 Vgl. den Beitrag von Matselo in dieser Publikation sowie Welzel/Zeising 2022, 117–118. 27 Wallraf hatte sich erfolgreich dafür eingesetzt, die für den 29. November 1802 angekündigte Versteigerung der Fenster aus St. Clara, St. Apern und St. Cäcilien aussetzen zu lassen. Stattdessen ließ er die Kreuzgangsverglasungen aus St. Apern und St. Cäcilien inventarisieren und zur sicheren Verwahrung in das Jesuitenkolleg bringen, vgl. Wolff-Wintrich 1995, 341. Abb. 5 Privates Domizil von Alexander Schnütgen, um 1910 28 29
RkJQdWJsaXNoZXIy MTI5NTQ=